Beidhändig - ambidextrous - durch das Jahr

Das neue Jahr hat schon gewaltig an Fahrt gewonnen. Die ersten Jahresklausuren und Team Workshops sind erfolgreich absolviert. Ziele fixiert. Segeln gesetzt. Doch abgesehen von Planungen und Zielvorgaben, welche Haltung soll uns erfolgreich durch das Jahr tragen? Welches übergeordnete Handlungsprinzip ist erfolgsversprechend? Ein Gedanke hat für mich besondere Strahlkraft bekommen. Und ich glaube, dass uns dieser Ansatz im heurigen Jahr gute Dienste leisten wird: Die Beidhändigkeit

 

Philipp Haberstock, Professor an der International School of Management (ISM) erklärt  Beidhändigkeit, auch genannt Ambidextrie, folgendermaßen:

„Der Begriff der organisationalen Ambidextrie (…) nach Robert B. Duncan (1976) bezeichnet die Fähigkeit von Organisationen, gleichermaßen sowohl effizient als auch innovativ bzw. flexibel zu sein, d.h. durch die Nutzung von zwei unterschiedlichen Vorgehensweisen mit den dynamischen und komplexen Umweltanforderungen und Entwicklungen am Markt umzugehen.“

 

Viele von Ihnen kennen wahrscheinlich diesen Ansatz des „Exploit and Explore“: Einerseits bestehende Prozesse zu optimieren und das bereits Vorhandene zu nutzen, andererseits Raum für Neues zu schaffen und weitere Geschäftsfelder zu erschließen.

 

Ich möchte einen Schritt über die reine organisationale Anwendung hinaus machen und den Begriff der Beidhändigkeit etwas weiter fassen. In ihm ruht ein ganz wesentliches Prinzip, das auch in der Friedens- und Konfliktforschung fest verankert ist: Das Denken und Handeln in „sowohl -  als auch“. Eine bewusste Beidhändigkeit kann uns demnach in vielen Lebensbereichen hilfreich sein. Ich möchte nur zwei Aspekte exemplarisch herausgreifen:

 

     1.       Ambidextrie im Systemwandel

Alte Systeme – sei es in Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik – zeigen ihre Defizite und negativen Auswüchse aktuell ganz deutlich. Überholte Strukturen, Prozesse und Systeme werden über kurz oder lang zusammenbrechen – oder sich transformieren (müssen). Das ist der Lauf der Entwicklung. Denn ein tiefgreifender Wandel unserer Werte, Sinnvorgaben, Ziele und Visionen für unseren Planeten ist im Gange. Massiv befeuert durch multiple Krisen und den unaufhaltbaren Klimawandel.

 

Für viele Menschen, die von Sorgen und Ängsten geplagt werden, gilt es buchstäblich, nicht „unter die Räder“ zu kommen. Sich nicht von den Hiobsbotschaften ins Bockshorn jagen zu lassen, nicht den Negativschlagzeilen das letzte Wort zu geben. Wie kann man Ambidextrie, Beidhändigkeit, in diesem Zusammenhang verstehen?

 

Ich meine, hier gilt es, tagtäglich standhaft und entschlossen seinen ganz individuellen Beitrag in der Gegenwart zu leisten. Resilient (widerstandsfähig), achtsam und wirkungsvoll (ja, auch effizient) zu agieren UND gleichzeitig den Kopf immer wieder freizumachen, um eine Offenheit für Neues zu kultivieren. Den Raum der Zukunft aktiv freizuhalten und gegen Vereinnahmung durch den Alltag zu verteidigen. Sowohl als auch. Fest im Tagesgeschäft, effizient und präsent zu sein, UND neugierig und experimentierfreudig zugleich.

 

     2.       Ambidextrie im Führungswandel

Auch konservative Führungsstile, die Integration und Partizipation außenvorlassen, zeigen ihre Schwächen und Limits. Sie werden mit der Zeit immer weniger werden und sich wandeln. Denn eine neue, innovative Wirtschaft und Gesellschaft brauchen zeitgemäßes Leadership, um alle Kräfte zu mobilisieren, alles Know-how zu schöpfen, co-zu-kreieren und die Menschen für eine nachhaltige, konstruktive, gemeinsame, verbindende Sache zu gewinnen.

 

Hier gilt es: Die eigene Rolle in diesem Zusammenhang zu erkennen. Den operativen Beitrag zu leisten UND gleichzeitig offen zu sein für neue Lösungsansätze und ein neues Leadershipverständnis. Sowohl – als auch. Das Meistern der täglichen Problemstellungen UND mehr und mehr partizipative, coachende, agile Elemente in den eigenen Führungsstil einfließen zu lassen.

 

In diesem Sinne wird das Jahr 2023 ein Jahr der tiefgehenden Transformation und in vielen Bereichen auch der radikalen Disruption werden. Der Wandel beschleunigt sich. Er nimmt immer mehr Form an. Und wir können entscheiden, welche Rolle wir in dieser spannenden Zeit spielen möchten. Verschreiben wir uns dem „Entweder - oder“ oder dem „Sowohl - als auch“? Dem „Schwarz - Weiß“ oder einem Farbenspiel?

 

Mein Ansatz ist: Gestalten wir die Zukunft beherzt mit beiden Händen, effizient UND innovativ, resilient UND offen, aktiv UND achtsam. Setzen wir uns ein für die Arbeits- und Lebenswelten, die wir uns für uns und die nächsten Generationen wünschen. Dann werden die Spalten und Kluften kleiner, gegensätzliche Pole rücken wieder ein Stück näher zusammen. Mit beiden Händen erreicht man mehr. Auch mehr Menschen. Nicht nur Effizienz und Innovation – auch Kreise lassen sich mit beiden Händen schließen.

 

Ihre Birgit Allerstorfer

 

Foto von Edward Ma auf Unsplash


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