Was haben Google und Peace Studies gemeinsam?

Auf den ersten Blick nicht viel.

Doch wenn man ein wenig tiefer blickt, tritt ein interessantes Phänomen zutage.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Zusammenarbeit im Team und generell einen konstruktiven, konfliktfähigen Umgang miteinander.

 

     1.       Die Google Perspektive

Google hatte es sich 2012 zum Ziel gesetzt, das Geheimnis des „perfekten Teams“ zu lüften. Code Name des Vorhabens: Projekt Aristoteles. Dabei versuchten Forscher:innen die zugrundeliegenden „patterns“ (Muster) erfolgreicher Teams zu verstehen. 180 Teams aus allen Bereichen der weltweiten Organisation wurden unter die Lupe genommen. Doch der Aspekt der Mitarbeiter:innen-Zusammensetzung - das "who" - schien keine herausragende Rolle zu spielen.

Die Forscher:innen des Projekts gingen daher dazu über, nach sogenannten „group norms“ (Gruppenregeln) - dem "how" - Ausschau zu halten. Sie identifizierten ein Büdel von Normen, die mehr als alles andere außergewöhnliche Teams ausmachten:

🎯 den Aspekt der „psychologischen Sicherheit“.

 

Harvard Business School Professorin Amy Edmondson, eine Koryphäe in diesem Bereich, definiert ihn folgendermaßen: „(…)  „a shared belief held by members of a team that the team is safe for interpersonal risk-taking.’’ Psychological safety is ‘‘a sense of confidence that the team will not embarrass, reject or punish someone for speaking up,’’ and: ‘‘It describes a team climate characterized by interpersonal trust and mutual respect in which people are comfortable being themselves.’’ (New York Times, 2016).

 

Wer hätte also gedacht, dass ein derart datengetriebenes und technologische Unternehmen wie Google, psychologische Sicherheit künftig in den Fokus nachhaltiger Teamentwicklung stellen würde? Die Zahlen gaben und geben ihnen recht.

 

     2.       Die Peace Studies Perspektive

Und wer hätte gedacht, dass genau an diesem Punkt der psychologischen Sicherheit eine konkrete Brücke zu einem denkbar anderen Bereich entsteht? Einem Bereich, der das konstruktive, friedvolle Miteinander in den globalen (Forschungs-)Mittelpunkt stellt. Denn gerade der Aspekt eines konfliktfähigen Umgangs wurde uns in den vergangenen Jahren der Pandemie, dem Aufflammen eines Angriffskrieges in Europa und der einhergehenden Energie- und Wirtschaftskrise, schmerzhaft bewusst. In unserer polarisierten Welt werden Peacebuilding, Konflikttransformation und der Wiederaufbau von Vertrauen und einer (gewissen) „psychologischen Sicherheit“ im Umgang miteinander eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Schlagen wir also eine kleine Brücke in die Peace Studies Welt und dem Begriff der 🎯„safe spaces“:

 

Professor für International Peacebuilding und Mediator John Paul Lederach fasst „psychologische Sicherheit“ in seinem Buch „The Moral Imagination. The Art and Soul of Building Peace“ (2005) in folgende Worte: „(…) Social change requires careful attention to the way people in their environment mix in relational spaces that provide a warm, initially somewhat separate, and therefore safe space to bring together what has not usually been brought together with enough sweetness to make the space conducive for the growth of those merged.” Auch auf einer noch konkreteren Ebene, beispielsweise in Peacebuilding Workshops auf dem Middle-range-Level, werden von ihm safe spaces genannt: „(…) The workshop provides a politically safe space for floating and testing ideas, which may or may not prove useful back in real-life settings.“ (Building Peace – Sustainable Reconciliation in Divided Societies, 1998)

 

Auf der Plattform beyondintractability.org fasst Julia Chaitin in “Creating Safe Spaces for Communication” (2003) den Aspekt folgendermaßen zusammen: “In order to create safe places for true dialogue and sharing, a supportive atmosphere must be developed and encouraged in which empathic and non-judgmental listening as well as a problem-solving orientation and equal respect for all partners are the norms. Adopting such practices not only erodes defensive behavior, but opens the door for open and honest dialogue.” (beyondintractability.org, 2003).

 

3. Die verbindende Perspektive

Wenn wir diese beiden Stränge nun zusammen betrachten, wird deutlich, was für eine gute Teamzusammenarbeit und einen konfliktfähigen Umgang miteinander wichtig ist:

  • Ein sicheres, vertrauensvolles Feld, das ermöglicht, authentisch präsent zu sein
  • und persönliche Risiken einzugehen.
  •  Diese Risiken können im Zulassen persönlicher Verletzlichkeit oder dem Eingestehen von Verletzungen bestehen
  •  aber auch im Teilen innovativer, unkonventioneller Ideen und Experimente.
  • Entscheidend ist das Vertrauen, im Team oder der entsprechenden Gruppe, gut aufgehoben zu sein und nicht bloßgestellt oder abgewertet zu werden.
  • Ein achtsamer, respektvoller Umgang auf der Beziehungsebene,
  • eine klare, wertschätzende Kommunikation und viel Zuhören
  • sowie das Mindset, gemeinsam zu lernen und zu wachsen.

Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll dazu beitragen, auch vermeintlich getrennte Forschungs- oder Wirtschaftsfelder miteinander in Bezug und in den Dialog zu bringen. Denn in unserer vernetzten, komplexen, polarisierten und disruptiven Welt werden wir mehr und mehr Brücken, Verbindungen und neue, kreative Lösungsansätze brauchen. Und vermeintlich „fremde“ Wissensgebiete und Disziplinen, die einander bereichern und inspirieren.

 

Frei nach Willy Brandt (1981), in seinem Ausspruch über Frieden, ist wohl auch psychologische Sicherheit nicht alles. Aber ohne psychologische Sicherheit ist alles nichts. Lederach schließt in „The Moral Imagination – The Art and Soul of Building Peace“ (2005) mit folgenden Worten: "Reach out to those you fear. Touch the heart of complexity. Imagine beyond what is seen. Risk vulnerability one step at a time."

 

Ich wünsche Ihnen ein zuversichtliches, vertrauensvolles, erfolgreiches neues Jahr, voll psychologischer Sicherheit, innovativer Ideen und einer großartigen Zusammenarbeit in Ihrem Team!

Ihre Birgit Allerstorfer


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